Eine einfache Anleitung zum Nein sagen lernen
Ach, wie einfach wäre die Welt, wenn jeder ehrlich sagen könnte, was anliegt, wie es so geht, was nervt,
was er möchte und was nicht. Wenn Menschen durch Worte anderer nicht beleidigt wären
oder sich verletzt und zurückgewiesen fühlen würden. Dann wäre das Nein sagen einfach.
Es wäre leicht, ehrlich zu sein. Und ist ehrlich sein, wenn es von Herzen erwünscht ist, nicht wunderbar?
Oder ist es für Dich angenehm, Dich zu verstellen, Dir in Gesprächen ob der Wortwahl
die Zunge zu verknoten, Deine Mimik zu überwachen und ja nicht zu vergessen,
am Ende des Gespräches noch etwas abschließend Positives, Relativierendes, Aufbauendes zu sagen?
Wir besuchen Rhetorikkurse, lesen Kommunikationsbücher, winden uns den ganzen Tag über
in diesen Vorgaben und Regeln und sind überrascht, wenn wir abends wie erschlagen sind.
Wie viel Zeit und Kraft geht dabei drauf, die Suppe auszulöffeln, die ich mir einbrocke,
wenn ich mal wieder zu irgendetwas JA gesagt habe, obwohl ich das gar nicht wollte?
Wie oft frage ich gar nicht erst nach dem, was ich gern hätte, in dem Glauben,
es sowieso nicht zu bekommen? Aus der Vermutung, dem anderen damit vielleicht lästig zu sein.
Und was erst, wenn er NEIN sagt? Oh Gott!
Was könnte der andere von mir denken? Was würde dieses NEIN bedeuten?
Es könnte bedeuten, dass ich bedürftig bin, nicht alleine klar komme, absurde Wünsche habe,
nicht geliebt werde, mich der Welt nicht zumuten kann, und dergleichen stressige Glaubenssätze mehr.
Oft habe ich erfahren:
Ein ehrliches Nein zu einer anderen Person kann ein Ja zu mir selber sein.
Und letztlich ist es auch ein Ja zum Anderen.
Und nicht nur das. Wenn ich klar bin, mülle ich mir nicht mein Leben zu.
Ich verpflichte mich zu nichts, was ich nicht leisten kann oder nicht leisten will.
Da wird viel Zeit frei, die ich für schöne Dinge verwenden kann.
Sagst Du öfter mal JA, obwohl Du in Dir ein NEIN spürst? Oder ein JEIN?
Oft begegnet mir ein hoher Anspruch an das „NEIN sagen“. Viele Menschen glauben:
Wenn ich Nein sage, muss ich das freundlich sagen.
Oder noch schwieriger:
Ich muss Kritisches auf eine Weise anbringen, dass der Andere es gut annehmen kann.
Solche Glaubenssätze haben bei mir schon so einiges an Aufrichtigkeit verhindert
und mich früher manches Nein verschlucken lassen.
Natürlich wäre es sehr angenehm und ich wäre immer auf der „richtigen“ Seite, wenn ich das könnte.
Aber wie ist die Realität?
Je mehr Du Dir erlaubst, ehrlich zu fühlen, was Du fühlst,
– also im direkten Kontakt mit dem bist, was Du empfindest –
desto schneller wirst Du deutlich spüren, ob es JA oder NEIN ist, was Du da fühlst.
Wenn ich mir das nicht erlaube, dann bin ich sauer auf mich, sauer auf den anderen
und vielleicht auch sauer auf die Welt, dass die so blöd eingerichtet ist.
Mit diesem Ärger ist es dann ziemlich schwer, NEIN zu sagen. Das könnte sich dann anhören wie:
1) „Na hör mal! Das müsste Dir doch klar sein, dass ich zu so etwas nicht JA sagen kann!“
oder
2) „Buoh, was Du immer von mir willst! Du machst es mir wirklich nicht leicht.“
oder
3) „Na, ist ja schön, dass Du mir mal wieder so frei von der Leber weg sagst, was Du von mir willst…
aber echt, das geht doch nicht…“
Wenn ich solche Varianten zum Nein sagen in mir trage, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch,
dass ich sie mir lieber verkneife. Und dann hab ich wieder nicht für mich gesorgt, wieder nicht NEIN gesagt.
Ich möchte Dir hier ein paar Möglichkeiten vorschlagen, die für mich funktionieren.
Wenn Du magst, probiere die Varianten aus, die Dir zusagen.
Spiel damit, finde Deine eigenen Formulierungen. Mach diese Vorschläge passend für Dich.
1.) Variante zum Nein sagen lernen
Meine absolute Lieblingsvariante, wenn ich nur die kleinste Tendenz in Richtung NEIN spüre, ist:
Ich höre zu, atme, spüre meinen Widerstand und sage etwas wie:
„Hm, ja, ich weiß nicht. Ich überlege mir das mal. Können wir da später nochmal drüber sprechen?“
oder
„Hm, ja, ich weiß nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das schon richtig verstanden habe.
Kannst Du mir näher erklären, was Du genau von mir möchtest?“
Damit höre ich zu, wehre den Wunsch des anderen nicht ab, und erlaube mir aber, wahrzunehmen,
wie es mir damit geht. Und: der andere spürt gleich, dass ich nicht begeistert bin.
2.) Variante zum Nein sagen lernen
Manchmal kostet es den anderen auch Überwindung oder Mut, mich um bestimmte Dinge zu bitten.
Ich könnte also auch erstmal wertschätzen, dass er überhaupt so eine Bitte an mich heranträgt:
„Ich schätze es, dass Du diese Bitte an mich heranträgst (oder: dass Du mir das zutraust)
und ich möchte es nicht.
3.) Variante zum Nein sagen lernen
Auch kommt es vor, dass ich den anderen wirklich mag, nur die Art und Weise,
die Häufigkeit der Wünsche, oder die Bitte selbst gerade nicht in meinen Lebensplan passen:
„Ich merke, ich würde gern etwas für Dich tun. Das, was Du jetzt von mir möchtest,
passt nicht so gut für mich. Hast Du noch andere Vorschläge?“
4.) Variante zum Nein sagen lernen
In Intensivseminaren, wo wir das NEIN sagen üben, z.B. hier: 7 Tage für gesunde Selbstliebe
führt diese Variante oft zu Erheiterung:
„Danke und Nein.“
Kurz und knapp. Ohne mich zu erklären oder zu rechtfertigen.
Zu Beginn fühlt sich diese Möglichkeit zum Nein sagen lernen sehr ungewohnt an, fast brutal.
Hat man sie jedoch ein paar Mal benutzt, tritt eine gewisse Gewöhnung ein
und es klingt gar nicht mehr so brutal. Eher klar. Wenn der andere eine Erklärung möchte,
kann ich die ja noch nachliefern. Aber ich hab erstmal klar NEIN gesagt.
Ich habe schon oft erlebt, dass dieses Nein sagen Beziehungen gestärkt hat.
Der andere weiß, woran er ist, ich mache dem anderen nichts vor, lüge nicht, verstelle mich nicht.
Das kann ein Zeichen von Respekt sein.
Magst Du es mal probieren?
Und schreib mir gern wieder hier unten in das Kästchen, welche Erfahrungen Du damit gemacht hast.
Mehr übers NEIN sagen lernen, kannst Du hier lesen
Und Achtung: Alles, was ich neu lerne, ist ein Lernprozess.
Ich schnipse nicht wie ein Zauberer in die Luft und das Wunder tut sich vor mir auf.
Ich traue mich was und es klappt ganz gut, dann wieder nicht so, dann hab ich wieder keine Lust mehr,
rapple mich wieder auf, habe ein Erfolgserlebnis, lasse es dann wieder schleifen usw.
Das ergibt im Diagramm eine hügelige Kurve. Aber wenn ich dranbleibe, geht sie insgesamt nach oben.
Hin zu mehr Zufriedenheit, weniger Stress, mehr Kontakt zu mir selbst. 🙂
Hallo Ina,
spannendes Thema hier.
Die 1. und 4. Variante fühlt sich für mich am besten an. Jedoch wenn ich ehrlich bin, kann ich immer noch nur schwer (liebevoll) NEIN sagen. In meiner früheren „Verzweifelung“ habe ich so heftig Nein gesagt, dass dieser Mensch sich nie mehr getraut hat, mich jemals wieder was zu fragen, ich habe also überreagiert („klappte“ jedoch auch nicht bei jedem 😉 ).
Wie gesagt, sehr spannendes Thema und ich kann ebenfalls bestätigen, dass ein klares Nein zu jemanden, ein liebevolles JA zu mir selbst ist. IMMER.
Liebe Grüße,
Ralf
Danke Ralf, ja, so ging es mir auch! 🙂
liebe Grüße, INA
Hallo Ina,
sehr, sehr schöner Beitrag. Zeigt, wie wichtig das Thema ist. Habe letztes Jahr an einer Blogparade dazu teilgenommen. Es war auch ein interessanter Austausch.
Hallo Oliver! Aaahh…dann schau ich mal auf Deinen! 🙂